Vortrag der Dorfgemeinschaft Eringerfeld, Frau Wiesehoff, anlässlich des Störmeder Schnadgangs am 21. Mai 2009
Liebe Schnadgänger aus Störmede mit Oberst Peter Stephan an der Spitze,
nach gelebter Tradition ist es üblich, dass Sie, wenn Sie die südliche Gemarkungsgrenze begehen, von den Eringerfeldern am Schnatstein am Doktorpfad begrüßt werden. Im Namen unseres Ortsvorstehers Jürgen Tommke, der sich z. Zt. im Urlaub befindet, möchte ich heute die Begrüßung vornehmen. Gleichzeitig möchte ich etwas über die Entstehung des Schnatganges berichten. Hierbei war uns freundlicherweise Stadtarchivarin Evelyn Richter mehr als behilflich.
Wie aus den Analen ersichtlich ist, wird dieser Schnatgang seit 1966 von der St. Pankratius-Schützenbruderschaft durchgeführt.
Schaut man in die anderen Ortschaften des ehemaligen Amtes Störmede wie z.B. nach Mönninghausen, Ehringhausen oder nach Langeneicke, so stellt man fest, dass dort die Schnatgänge ebenfalls durch die örtlichen Schützenvereine durchgeführt werden, die damit jeweils auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen.
Unter dem Begriff Schnadzug oder Schnadgang wird heute in Westfalen ganz allgemein das Begehen einer Ortsgrenze – sei es ganz oder in Teilen – unter Beteiligung eines Teils der Bevölkerung verstanden, wobei u.U. an bestimmten Grenzpunkten Mitglieder befreundeter Vereine hinzu stoßen. Zweck des Schnatganges ist heute allein das Bedürfnis, heimatliche Traditionen in geselligem Kreise zu feiern.
Die Bedeutung dieses Begriffs war früher jedoch noch etwas vielfältiger.
Das seit 1854 erscheinende Deutsche Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm erklärt das Wort „Schnade“ bzw. Schnat bzw. Schnatte u. a. mit der Bedeutung „strieme, schmarre, schnittwunde, wundmal“, mittelhochdeutsch „snate, snatte“. Irgendetwas wird also geschitten oder in etwas wird eingeschnitten.
Das Grimmsche Wörterbuch kennt auch den „schnattenbaum“. Bei ihm handelt es sich um einen Grenzbaum oder Grenzpfahl, also einen Baum, in den Grenzzeichen mit einer Axt oder einem Beil eingeschnitten wurden.
Das selbe Wörterbuch nennt aber auch die Wortform „schnat, schnate“ mit der heute geläufigeren Bedeutung „grenze“.
Die historischen Schnadzüge waren jedoch nicht nur Begehungen der Grenzen einer Stadtfeldmark oder einer Dorfflur bzw. eines Kirchspiels. Sondern als Schnadgänge oder Schnadzüge wurden z.B. auch Umschreitungen, Umritte oder Besichtigungen eines Jagdreviers, eines Holz-, Weide- oder eines Gerichtsbezirks bezeichnet.
Schnadzüge sind seit dem Mittelalter für Westfalen belegt.
Als früheste Erwähnung im hiesigen Raum werden für die Stockheimer Mark in Geseke bereits im Jahr 1326 Schnadbäume, also mit Grenzzeichen versehene Bäume, erwähnt.
Auch fanden Schnadpfähle aus Holz und sogenannte Schnadsteine Verwendung, wobei die Steine bei Mark- oder Landesgrenzen mit landesherrlichem Wappen oder mit den die Grenze teilenden Markgenossen kennzeichnenden Buchstabengruppen versehen waren.
Da beide jedoch leicht durch Verrückung oder Ausreißen zu manipulieren waren, wurden unter die Pfähle und Steine unverwesliche Gegenstände wie Knochen, Kohlen oder Scherben vergraben, die dann später die Stelle anzeigten, wo die Schnad, also die Grenze verlief.
Die Schnadsteine waren häufig außer mit einem Wappen auch mit einer Jahreszahl versehen, die das Jahr ihrer Setzung verriet und das Ende einer Grenzstreitigkeit dokumentierte.
Landschnadtsteine, die landesherrliche Grenzen markierten, trugen beide landesherrlichen Wappen.
Der vordringliche Zweck der historischen Schnadgänge war immer ein rechtlicher:
Einen Sonderfall stellten die Schnatjagdzüge der westfälischen Städte da, bei denen gleich zwei Anliegen im Vordergrund standen, nämlich die Kontrolle der Grenzen und zugleich – und wohl vordringlich – die Wahrung des Rechtes der Stadtbürger auf die niedere und hohe Jagd innerhalb ihrer Feldflur, ein Recht, das z.B. die Stadt Geseke wie die meisten Städte im kurkölnischen Herzogtum Westfalen seit alters her besaß.
Da Schnatzeichen allein die Grenzen noch nicht sicherten, musste, den eigenen Leuten, also den Stadtbürgern oder den Markgenossen, sowie allen angrenzenden Nachbarn von Zeit zu Zeit in Erinnerung gerufen werden, wo die Grenzen tatsächlich verliefen.
Deshalb erging an alle verantwortlichen Grenznachbarn vorab eine formale Einladung zur Teilnahme am Grenzgang zu einem vorgegeben Termin, zumindest in späterer Zeit immer auch in schriftlicher Form, während die Bevölkerung bzw. die Markgenossen durch öffentlichen Ausruf oder Verkündigung von der Kirchenkanzel zur Teilnahme gerufen wurde.
Für Störmede kann festgestellt werden, dass Störmeder in kurkölnischer Zeit an Schnatzügen teilgenommen haben.
Der verstorbene Störmeder Pfarrer Walter Wahle hat 1985 in den Geseker Heimatblättern einen Beitrag über einen Störmeder Schnadgang von 1603 veröffentlicht. Eine über diesen Vorgang berichtende Urkunde hat um 1836 der damalige Pfarrer von Störmede, Theodor Schenk, in einer von dem Notar Adrian Wildt beglaubigten Abschrift aufgefunden und in ein Verzeichnis wichtiger Vorkommnisse, das sein Vorgänger angelegt hatte, abgeschrieben.
Dort heißt es:
Bei einer ihrer von Zeit zu Zeit stattfindenden Zusammenkünfte kamen am Sonntag, dem 14. September 1603, im Kloster Nazareth die Herren von Hörde überein, wieder einmal die Schnade ihrer Hude und Weidegerechtigkeit zu begehen. Als Termin wurde der folgende Samstag, der 20. September, festgesetzt. Damit über den Schnadgang und über seine Ergebnisse eine beweißkräftige Urkunde angefertigt werde, lud Bernhard Sylvester von Hörde, Herr des Alten Hauses zu Störmede, auch namens seines Schwagers Reinhard von Bochholdt, Herrn des Hohen Hauses zu Störmede, den Notar Peter Fürstenberg aus Geseke am 19. September 1603 ein, für sie eine Verrichtung vorzunehmen. Er fand sich auch gleich um vier Uhr in Störmede ein und wurde über die ihm zugedachte Aufgabe unterrichtet, die Grenzen von Schnade zu Schnade aufzuzeichnen.
Am nächsten Morgen, Samstag, den 20. September, morgens um 6 Uhr, stand die gesamte männliche Einwohnerschaft, alt und jung, von Dorf und Freiheit Störmede jeweils mit ihrem Gewehr zwischen dem Schmiedehaus (Kirchstraße 12) und der Klosterpforte, also in der Biegung der jetzigen Kirchstraße. Zur angegeben Stunde kamen Bernhard Sylvester von Hörde und Reinhard von Bocholdt zu Pferde von ihren Häusern und stellten zunächst fest, wer die ältesten unter den Angetretenen waren.
Sie sollten nach altem Brauch die Hude von Schnade zu Schnade anschaulich abgehen, damit auch die Jungen künftig Wissenschaft erlangten und in künftige Zeit Kunde trügen.
Nachdem die Grenzen der Hude, Weide und Trifftgerechtigkeit festgestellt worden waren, verlangten zum Schluss Bernhard Sylvester von Hörde, Reinhard von Bocholdt und die gesamte Gemeinheit von Störmede, dass Notar Fürstenberg über den Schnadgang eine Urkunde verfertigen soll, was dieser auch tat. Zeugen sind Hermann Hagemann, Pastor zu Störmede, Christopher ab Hagen und Theodor Torcke, ein Diener Reinhardts von Bocholdt.
Abschließend kann man feststellen, dass man bei der heutigen Form des Schnatzuges der Störmeder St. Pankratius- Schützenbruderschaft gewiss auf örtliche historische Vorbilder verweisen kann, beispielsweise auf die Teilnahme von Störmeder Eingesessenen als Zeugen und Nachbarn an der Grenzenbegehung der adeligen Hude- und Triftgerechtigkeit in Dorf und Freiheit Störmede. Da es bei diesen Begehungen jedoch nicht um die rechtliche Verteidigung der Dorfflur im ganzen ging, der Initiator der in kurkölnischer Zeit stattgefundenen Schnadgänge nicht der örtliche Schützenverein sein konnte, handelt es sich bei den heutigen Schnadzügen in sofern um etwas neu Geschaffenes.
Die Störmeder Schnatbegehungen kann man somit also im besten Sinne als gelebtes modernes aber gefestigtes Brauchtum bezeichnen. Wer mehr über die Schnat wissen möchte, kann dieses sicherlich jederzeit nach Anmeldung bei Evelyn Richter im Stadtarchiv in Geseke erfahren.
Im Namen unseres Ortsvorstehers möchte ich Ihnen diese kleine Wegzehrung überreichen und wünsche der Schnat noch einen guten Verlauf.